Kosmologie (heft 1/2018)

Hrsg. von Tim Sparenberg und Philip Weber

Umfassende Darstellungen, die den großen Fragen nach dem Anfang, dem Ende und den Gesetzen des Kosmos nachgehen, werden weltweit in millionenfacher Auflage gelesen und sind nicht erst seit den programmatischen „Kosmos-Bändchen“ des Franckh Verlags ein fester Bestandteil des Sachbuchkanons.

Das Themenheft „Kosmologie“ will der ungebrochenen Faszination des Wissens um den Kosmos nachgehen und fokussiert dabei das Verhältnis von Kosmologie und Populärem sowie die Formengeschichte der Kosmologie. Wie ist das stets prekäre Wissen um den Kosmos in der historischen Entwicklung je vermittelt worden? Welche Wechselbezüge lassen sich zwischen dem Kosmos und seiner Darstellung ausmachen? Warum erreicht ausgerechnet das abstrakte kosmologische Wissen solch eine Popularität? Und welche historische Funktionsstelle nimmt in dieser Entwicklung die Gattung des Lehrgedichts ein, die traditionell das Medium der Kosmologie ist?

In der Antike dienten Lehrgedichte wie die des Hesiod, Parmenides, Lukrez und Ovid als Medium der vollständigen Wissenssammlung über den Kosmos. Dabei waren sie zugleich hochgradig poetisch komponiert: In Versform beschrieben sie den Kosmos, der als ein ‘wohlgeordneter Schmuck’ verstanden wurde. Das Aussterben des Lehrgedichts im 18. Jahrhundert ruft die Frage auf, welche Strategien andere Gattungen wie der Roman und das erzählende Sachbuch anwendeten, um die entsprechenden Gattungsmerkmale zu integrieren und schließlich ihre Vorgänger überflüssig zu machen. Für eine Poetik des Sachbuchs lassen sich die Gemeinsamkeiten mit und die Unterschiede zur Gattung des Lehrgedichts dabei in mehrfacher Weise profilieren. Dabei erweist sich die Kosmologie als gerade jener Distinktionsbereich, der die jeweiligen Poetologien in besonderer Weise herausfordert.

Mit dem Aufkommen der neuzeitlichen Wissenschaften, nochmalig verstärkt dann mit Entstehen der modernen, auf statistische Verfahren rekurrierende Disziplinen,  kann  Kosmologie nur noch als mehrfach gebrochenes Verhältnis, mithin als Darstellungsproblem gedacht werden. Hierauf reagiert seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das sich revolutionierende und in quantitativer Hinsicht ‘explodierende’ Genre kosmologischer Popularisierungen: Diese Tradition reicht von Alexander von Humboldts Fragment gebliebenem „Kosmos“-Projekt (1854-62) bis hin zu den Sachbuch-Bestsellern der jüngeren Gegenwart wie “The first three Minutes” (1977) von Steven Weinberg und “The Universe in a Nutshell” (2001) von Stephen Hawking. Diese heterogenen Texte antworten auf die statistische Datenastronomie, indem sie den kosmologischen Anschauungszusammenhang zumindest modellhaft wiederherstellen und damit zugleich dem Bedürfnis nach einer Gesamtdarstellung im jeweiligen Rückbezug auf die Lebensperspektive des Menschen Rechnung tragen. Dabei erfüllen sie nicht zuletzt die Funktion einer Wissenschaftskritik und sind zugleich an den ästhetischen Kriterien populärer Gattungen orientiert.